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Thematisiert: Aktuelles in Medien


Halligalli statt Halleluja

Herumrennen, filmen, essen während der Predigt – Pfarrer haben die Schnauze voll

Heiliger Bimbam!

Immer weniger Menschen besuchen in der Schweiz die Gottesdienste. Und wer geht, hat keine Ahnung, wie er sich verhalten muss. Im BLICK packen Pfarrer aus, wie es in den heiligen Häusern zu und her geht.

Leonhard Jost (63) ist Pfarrer der reformierten Kirche Brütten ZH.

«Manchmal arten die Gottesdienste regelrecht aus», sagt Jost. Er hätte lieber keine Leute in der Kirche als solche, welche religiöse Werte und Gefühle mit Füssen treten. Jost: «Ich fühle mich zuweilen mehr als Joggel denn als Geistlicher.»

Auch Beat Niederberger (57), Leiter des Pastoralraums Region Aarau, stellt eine große Fremdheit vieler Kirchgänger fest. Um seine Gottesdienste kinderfreundlicher zu gestalten, richtete er eine Spielecke mit einem Holzschiff und Büchern ein. Malen statt predigen: Die Kirche wird zum Spielplatz.

«Viele junge Menschen haben Mühe mit der kirchlichen Sprache, den Kirchenliedern und alten Gebräuchen», sagt Abt Urban Federer vom Kloster Einsiedeln.

Während der Geistliche spricht, geht es auf den Bänken zu und her wie auf einer Spielwiese

Es ist Taufsonntag in der reformierten Kirche Brütten ZH. Pfarrer Leonhard Jost (63) wird an diesem Morgen mehrere Kinder taufen. Auf den Bänken sitzen Eltern, Geschwister, Paten, Großeltern. Ein Großteil der Gäste hat die Kirchenpforte wohl zum ersten Mal übertreten.

Pfarrer Jost gibt sich alle Mühe, dem Ritus mit seiner Rede Sinn und Tiefe zu geben. Gewürdigt wird es von den Anwesenden wenig. Während der Geistliche spricht, geht es auf den Bänken zu und her wie auf einer Spielwiese: Kinder tanzen auf den Bänken herum, Eltern tuscheln, kichern, ein Spielzeug kracht auf den Boden, ein Junge rennt nach vorne und versucht, auf die Kanzel zu steigen. Innert Minuten sind sämtliche kirchlichen Tabus gebrochen.

«Ich empfinde das Benehmen Einzelner als beleidigend und auch verletzend», sagt Pfarrer Leonhard Jost.

Die Erwachsenen schauen dem Treiben untätig zu. Anstatt den Buben zu ermahnen, lacht die Omi und filmt. Etwas später packt eine Mami ein Znünisäckli aus ihrer Tasche und verteilt Äpfel – in der Hoffnung, ihre Kinder wenigstens die nächsten fünf Minuten stillzuhalten.

«Fühle mich mehr als Joggel denn als Geistlicher»

«Manchmal arten die Gottesdienste regelrecht aus», sagt Jost. Vielen Eltern scheint das Gespür für Anstand und Respekt völlig abhandengekommen zu sein. Sie vermögen zwischen den Regeln auf dem Spielplatz und denjenigen im Kirchenraum offensichtlich nicht mehr zu unterscheiden. «Da fühle ich mich zuweilen mehr als Joggel denn als Geistlicher, der eine heilige Handlung vollzieht», sagt der Theologe. «Ich empfinde das Benehmen Einzelner als beleidigend und auch verletzend. Im Grunde handelt es sich hier um eine Art Gotteslästerung», so Jost. Er hätte lieber keine Leute in der Kirche, als solche, welche religiöse Werte und Gefühle mit Füssen treten.

Auch Beat Niederberger (57), Leiter des Pastoralraums Region Aarau, stellt eine große Fremdheit vieler Kirchgänger fest. «Die Leute haben oft schlicht keine kirchliche Sozialisierung mehr», sagt der Theologe. Um seine Gottesdienste kinderfreundlicher zu gestalten, richtete er eine Spielecke mit einem Holzschiff und Büchern ein. «Es bringt nichts, für einen einmaligen Anlass die Menschen erziehen zu wollen, da sorge ich lieber selbst für eine angenehme Atmosphäre.»

Um seine Gottesdienste kinderfreundlicher zu gestalten, richtete Beat Niederberger (57), Leiter des Pastoralraums Region Aarau, eine Spielecke ein.

Trauwillige sitzen in der falschen Kirche

Ähnliches berichten die Theologen von den Trauungen. Einige Trauwillige wissen schlicht nicht, welcher Konfession sie angehören und merken erst beim Gespräch, dass sie in der falschen Kirche sitzen. «So massiv ist die Entkirchlichung mittlerweile fortgeschritten», sagt der Aargauer.

Auch den Katholiken ist die Säkularisierung nicht entgangen. «Viele junge Menschen haben Mühe mit der kirchlichen Sprache, den Kirchenliedern und alten Gebräuchen», sagt Abt Urban Federer vom Kloster Einsiedeln. «Statt über das Unwissen der Jungen zu schimpfen, sind wir als Kirche gefordert, sie in einer Sprache anzusprechen, die sie verstehen.» Was das sein soll? Die göttliche Eingebung hat man bisher nicht erhalten.

Reagiert hat Pfarrer Leonhard Jost. Seit drei Jahren gibts in Brütten nur noch Gemeinschaftstaufen. So kommen auch Gläubige, die Stille und Ruhe suchen, auf ihre Kosten.

Verlust des Heiligen

Gastkommentar von Giuseppe Gracia, BLICK-Kolumnist und Medienbeautragter des Bistums Chur

Wer in die Messe geht, will Gott begegnen und die Gegenwart des Heiligen erfahren. Das wird immer schwerer, denn viele Vertreter der Kirche sind sehr weltlich geworden.

Statt der befreienden Größe Gottes bieten sie lehrerhafte Pädagogik und Moral. Statt ­Demut, Weihrauch und das ­Geheimnis des Glaubens bieten sie die Anbetung des Menschen, die niemanden erlösen kann. Statt den Blick frei zu machen für den liebenden und fordernden Gott, verstellt man uns den Blick mit Zeitgeist-­Anbiederung.

Immer mehr Leute meiden die Messe – nicht weil die Kirche falsche, veraltete Sprechweisen oder Ideen hat, sondern weil sie das Falsche tut. Die moderne Welt verdrängt das Heilige, Überirdische und akzeptiert nur noch eigene Standards. Auf diesen Verlust des Heiligen reagiert die Kirche mit Anpassung statt Widerstand.

Dabei müsste sie das Heilige neu erfahrbar machen, damit wir merken, dass wir eine unsterbliche Seele haben und zur Gemeinschaft mit Gott berufen sind. Dass wir mit Gott die Welt verwandeln sollen, statt vor ihr in die Knie zu gehen.

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